Anbahnung

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Wenn ein Kind vor der Vermittlung in eine Dauerpflegefamilie in einem Heim oder einer Bereitschaftspflege lebt, wird in der Regel eine Anbahnung erfolgen. Sie soll den potentiellen Pflegeeltern und dem Kind ermöglichen, sich vor dem Umzug kennen zu lernen, sich behutsam aneinander anzunähern und Entscheidungssicherheit zu bekommen. Eine erfolgreiche Anbahnung erspart dem Kind einen (weiteren) abrupten Verlust von seinen derzeitigen Bezugspersonen und seinem momentanen Lebensmittelpunkt und ermöglicht ihm einen sanften Übergang in die neue Lebenssituation.

Was passiert in der Anbahnung?

Die potentiellen Pflegeeltern erhalten zunächst Informationen, die für die Vermittlung von Interesse sind: biographische Daten, Gründe für die Notwendigkeit der Unterbringung in einer Dauerpflegefamilie, Informationen über Erkrankungen, Behinderungen, Auffälligkeiten und therapeutischen Bedarf, rechtliche Situation (z.B. Sorgerechtsentzug), Perspektive (vermutliche Dauer, gerichtlich geklärt oder nicht u.a.) und Rahmenbedingung (Besuchskontakte, Einstellung der leiblichen Eltern zur Unterbringung des Kindes usw.).

Potentielle Pflegeeltern sollten sich nicht scheuen, in dieser Phase viele Fragen zu stellen, um einen möglichst umfassenden ersten Eindruck nicht nur von dem Kind, sondern auch den Umständen des Pflegeverhältnisses und möglichen Schwierigkeiten zu bekommen. Nur so können sie verantwortungsvoll entscheiden, ob sie sich die Aufnahme des vorgeschlagenen Kindes vorstellen können.

Wenn dies der Fall ist, erfolgen die ersten Treffen. Die potentiellen Pflegeeltern lernen das Kind in seiner momentanen Umgebung kennen. Beide bekommen voneinander einen Eindruck und können entscheiden, ob „es“ passen könnte.

Häufig erfolgt in dieser Phase auch ein Treffen zwischen leiblichen Eltern und potentiellen Pflegeeltern. Dieser erste Kontakt ist wichtig. Er ermöglicht eine erste Einschätzung, ob die Beteiligten sich eine Zusammenarbeit im Interesse des Kindes vorstellen können.

Wenn sich sowohl die potentiellen Pflegeeltern als auch das Kind (sofern es sich dazu äußern kann), die leiblichen Eltern und die beteiligten Fachkräfte eine Vermittlung weiterhin vorstellen können, werden die Kontakte zwischen der potentiellen Pflegefamilie und dem Pflegekind schrittweise ausgebaut: In der Regel besuchen zunächst die künftigen Pflegeeltern das Kind in seinem vertrauten Umfeld. Ist ein erster gegenseitiger Kontakt aufgebaut, besucht das Kind – evtl. zunächst in Begleitung seiner momentanen Bezugsperson – die künftigen Pflegeeltern. Die Besuch werden schrittweise ausgeweitet. Sie finden üblicherweise zunächst stundenweise, dann tageweise, dann mit Übernachtung und bei älteren Kindern evtl. auch mehrtägig statt.

Von den derzeitigen Bezugspersonen sollten sich die künftigen Pflegeeltern so viel wie möglich zum Kind berichten lassen. Welche Vorlieben und Abneigungen hat es, welche Rituale kennt es? Wie schätzen die Bezugspersonen das Kind ein? Wie gehen sie mit kritischen Situationen um? Die Bezugspersonen haben häufig eine längere Zeit mit dem Kind zusammen gelebt und können daher hilfreiche Anregungen geben. Zudem wird dem Kind der Übergang in die neue Familie erleichtert, wenn es bestimmte Konstanten (z.B. bekannte Rituale) gibt.

Wie lange dauert die Anbahnungsphase?

Es gibt keine klaren zeitlichen Vorgaben für die Dauer der Anbahnung. Sie kann wenige Tage dauern oder mehrere Monate und ist abhängig vom Alter des Kindes, der Dauer der Unterbringung in der jetzigen Stelle, der Qualität der Bindungen, die es dort eingegangen ist und von seiner Bereitschaft, sich auf die neue Situation einzulassen.

Wer hat in der Anbahnungsphase das Sagen?

In der Anbahnungsphase sollten die derzeitigen Bezugspersonen, die künftigen Pflegeeltern und die beteiligten Fachkräfte vertrauensvoll und einfühlsam zusammen arbeiten.

Häufig überlassen die beteiligten Fachkräfte die konkrete Ausgestaltung der Anbahnung den derzeitigen Bezugspersonen und den künftigen Pflegeeltern weitestgehend selbstständig. Sie sind aber immer ansprechbar und sollten die Anbahnung professionell unterstützen und bei der Entwicklung klarer Absprachen helfen.

Manchmal möchte die Pflegefamilie „ihr“ Kind möglichst schnell zu sich holen und hat das Gefühl, ausgebremst zu werden. Hier sollten die potentiellen Pflegeeltern bedenken, dass eine behutsame Anbahnung das spätere Zusammenleben wesentlich erleichtern kann. Sie sollten die Einschätzung der derzeitigen Bezugspersonen zur Gestaltung der Anbahnungsphase ernst nehmen, sie kennen das Kind momentan am besten.

Es ist wichtig, dass sich alle Beteiligten regelmäßig über den Verlauf der Anbahnungsphase austauschen. Wenn dies erfolgt, werden sie gemeinsam den richtigen Zeitpunkt für die Übersiedlung erkennen.

Kann die Anbahnungsphase abgebrochen werden?

Die Anbahnungsphase soll nicht nur dem Kind zu einem möglichst sanften Übergang verhelfen, sie soll auch den künftigen Pflegeeltern die größtmögliche Gewissheit geben, dass sie dieses Kind tatsächlich dauerhaft bei sich aufnehmen möchten.

Zweifel kommen in der Anbahnungsphase häufig auf und sollten mit der zuständigen Fachkraft besprochen werden. Oft entspringen sie eher einer „Angst vor der eigene Courage“ und lassen sich schnell ausräumen. Manchmal haben sie aber auch tiefergehende Gründe (die Pflegefamilie befürchtet, mit der Aufnahme dieses Kindes überfordert zu sein, sie findet keinen Bezug zu dem Kind o.ä.). Dann kann und sollte die Anbahnung abgebrochen werden. Weder Mitleid mit dem Kind noch die Angst, nie mehr ein Kind vorgeschlagen zu bekommen oder eine lange Wartezeit bis zu dem erfolgten Kindervorschlag, sollten dazu führen, eine Anbahnung gegen die eigene innere Überzeugung fortzuführen. Der Abbruch einer Anbahnung ist keine „persönliche Bankrotterklärung“, sondern vielmehr ein Zeichen von großem Verantwortungsbewusstsein und wird von den Jugendämtern in der Regel auch genau so gesehen!